Weihnachtsflucht
(aus dem Schwenker 11/2022)
Vielleicht ward ihr auch mal etwas rebellisch unterwegs. Es war 1984. Ich
konnte Uli davon überzeugen, in diesem Jahr dem Weihnachtskommerz
und viel wichtiger dem Familienchaos zu entsagen. Unser Ziel waren die
Bahamas oder Hawaii. Dort erinnert nichts an (weiße) Weihnacht oder
die Familie. Allerdings unser Studentenbudget machte dies schnell
zunichte. Die Fahrt ging dann nach Tschechien in eine Hütte, die dem Onkel
eines Kommilitonen gehörte, der sie uns kostenlos überließ. Die Fahrt war
unspektakulär…bis der Weg nach rechts in einen nur notdürftig gestopften
Feldweg abbog. Als wir die Steigung sahen, blickten wir uns skeptisch an.
Aber Ulis Golf meisterte die 15% Steigung wie eine alte Gemse. Dann kam
eine Siedlung. Es standen vier Häuser mit Spitzdächern nebeneinander.
Die Szenerie wirkte vor dem dichten Wald, als würden die Zwerge vor
Schneewittchen flüchten. Wir bemerkten sofort, dass vor keinem dieser
Zwergenhäusschen ein Auto stand. Wir waren wohl ganz alleine…bis auf
die Wölfe und Bären, meinte Uli. Vermutlich wollte er einen Spaß machen,
ich fand das nicht sooo lustig. Seine Unbegeisterung nahm noch zu, als wir
unser Zeug in die Datscha schleppten. Denn innen bestand das Häusschen
aus einem dunklen Raum. Alles very basic, very, very basic. Es gab ein paar
Töpfe, ein wenig Geschirr und Besteck für etwa dreieinhalb Personen. Uli
kommentierte das mit den Worten: „Wieviel Blatt Papier haben wir
mitgenommen um alles aufzuschreiben, was wir das nächste Mal mitbringen
sollten?“
Kaum waren wir drin, kam etwas, mit dem wir überhaupt nicht gerechnet
hätten…zumindest auf den Bahamas. Es schneite. Nein es schneite nicht. Die
Wolken fielen in Fetzen auf uns herab. Ich glaube, es gab kein Platz mehr für
Luft zwischen den Flocken. Und schon tat sich das nächste Problem auf. Es
gab einen Kamin mit einem schönen Metallgitter, das verhindern soll, dass
das Holz nicht weg hüpft. Aber es war kein Holz in der Hütte. Und mein
Mr. Negativ meinte: „Wie sollen wir die Bude ohne Holz anzünden?“ Beim
Reingehen habe ich vorm Haus eine Axt bemerkt. Allerdings waren wir zwei
Stadtkinder und hatten bisher noch nie einen Baum getötet. Und obwohl noch
keiner von uns zuvor ein Kaminfeuer entfacht hatte, wussten wir, dass frisch
geschlagenes Holz für ein Feuer nicht taugt. Uli meinte er könnte mich ja mit
Schnee einreiben, das würde auch wärmen. Ich erklärte ihm, dass das doch
recht gefährlich ist. Hierbei dachte ich an die Axt. Inzwischen lag die weiße
Pracht schon fast Kniehoch. Um seine Laune zu steigern versprach ich ihm
nächstes Jahr Weihnachten wieder zu Hause zu feiern. Er sagte allerdings
das, was ich befürchtete aber nicht wagte auszusprechen. „Falls wir hier
lebend rauskommen und nicht erfrieren oder verhungern.“ Offensichtlich um
mich zu trösten erklärte er mir, dass die sicherlich Lebensmittel vom
Hubschrauber aus abwerfen werden. Nun war aber die Stimmung bei mir
auch gekippt und ich fragte, ob es in Tschechei überhaupt Hubschrauber
gibt? Bis jetzt war nur eins ganz klar. Die Weihnachtsstimmung, der wir
entgehen wollten gibt es hier tatsächlich nicht. Also bisher ein voller Erfolg…
ha ha! Jetzt ist es aber an der Zeit meinen Uli zu loben. Er ist ein Typ der nie
aufgibt. Er erinnerte sich daran, neben einem der anderen Häuser einen
Schuppen gesehen zu haben. Und schon war er mit der Axt und mir auf dem
Weg dorthin. Ich wollte keinesfalls alleine im Haus bleiben. Ihr erinnert euch
an den Spruch mit den Wölfen und Bären!? Und da war das Weihnachtswunder.
Der Schuppen war nicht verschlossen und er war voll mit abgetrocknetem Holz.
Ich weiß nicht genau wie, aber Uli hat es geschafft mit dem Holz, zwei Rollen
Toilettenpapier und einer Unmenge an Streichhölzern ein Feuer im Kamin zu
entzünden. Dann machte ich den Vorschlag, wir könnten noch ein wenig
Spazieren gehen. Mein Verlobter meinte, das sei doch sehr spießig (und
weihnachtlich). Also gut gab ich zurück, wir machen einen Sondierungsrundgang.
Auf diese Formulierung konnten wir uns einigen. Dann warfen wir Schneebälle
auf die Scheunentür oder wenigsten auf die Scheune. Wieder mit besserer Laune
überkam es mich und ich warf ihm einen Schneeball hinterher, was ihn veranlasste,
mir gut drei Kilo Schnee ins Dekolleté zu stopfen. Deshalb waren wir zurück, bevor
das Feuer ausging. Wir machten es uns dann vor dem lodernden Feuer mit einer
Tasse Instantkaffee gemütlich. Und Uli wollte dann das Päckchen öffnen, das uns
seine Eltern trotz Protest mitgegeben hatten. Also wenn das jetzt keine
Weihnachtsstimmung hervorruft? Im Päckchen waren Weihnachtskekse, die wir
zu unserem (ekelhaften) Kaffee verdrückten. Als dann so gegen 15 Uhr die Nacht
hereinbrach stellten wir fest, dass das elektrische Licht quasi kein Licht ins Dunkel
brachte. Also begann ich Kerzen aufzustellen. Und schon wieder ertönte ein
unqualifizierter Kommentar. So etwa wie: „Du wolltest doch keine
Weihnachtsstimmung. Und Kerzen sind Weihnachtsstimmung.“ „Nein, Kerzen
sind romantisch, aber davon verstehst du ja nichts.“ Außerdem war mittlerweile
auch ich im Weihnachtsmodus, denn Päckchen auspacken und vorm Kamin
Kaffee trinken und Plätzchen essen, das ist einfach Weihnachten. Ok, zugegeben,
die Dosenravioli, die wir als Festmenü dabei hatten, hätten die Weihnachtsfreude
beinahe wieder kaputt gemacht. Aber eben nur beinahe. Über das was die nächsten
zwei Tage passierte, hülle ich mich in Schweigen. Zu erwähnen wäre noch, dass am
zweiten Feiertag noch ein Weihnachtswunder geschah. Der Schnee taute fast so
schnell wie er fiel. Und somit stand unserer Heimfahrt am kommenden Tag nichts
mehr im Wege. Mein Reümee lautet: Man kann Weihnachten nicht aus dem Weg
gehen. Und dieses Fest war wohl eines der schönsten Weihnachtsfesten die wir
erlebt hatten.“ Zu Hause fragte uns Ulis Vater: „Und wie war`s in der Hütte? Hattet
ihr eine Heizung?“ „Na klar., es war wohlig warm.“ Und Wetter?“ „Ja hatten wir
auch.“ Na ja bei uns hat es die ganze Weihnachten geregnet. Dann ist ja euch
euere Weihnachts- flucht gut gelungen.“ Uli und ich sahen uns an. Doch bevor
mein „Held am Feuer“ etwas sagen konnte, habe ich das Wort an meinen
zukünftigen Schwiegervater gerichtet: „Ja voll, weniger Weihnachten wäre
gar nicht möglich gewesen.“
Gudrun